Kürzlich leitete ich zwei Workshops mit Multiplikator*innen, die Jugendliche betreuen, die teils mit traumatischen Erfahrungen, frühkindlichen Bindungsstörungen und psychischen Erkrankungen, unter anderem auch Essstörungen zu tun haben. In diesen Einrichtungen arbeiten engagierte und kompetente Fachkräfte. Dennoch stoßen sie im Umgang mit Essstörungserkrankungen oft an ihre Grenzen und erleben Gefühle von Hilflosigkeit und/oder Ohnmacht.
Die körperliche Komponente stellt neben der psychischen Dynamik einen zentralen Aspekt dieser Erkrankung dar. Anorexia nervosa zum Beispiel gilt als die psychische Erkrankung mit der höchsten Sterblichkeitsrate.
Erkrankt eine Jugendliche an einer Essstörung – etwa an Anorexia nervosa (Magersucht) oder Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) –, löst insbesondere der körperliche Zustand häufig große Unsicherheit bei den ‚Angehörigen‘ aus. Häufig steht zunächst die Frage: Wie kann ich die Betroffene oder den Betroffenen dazu bringen, wieder ausreichend zu essen? im Mittelpunkt.

Mittlerweile gibt es, viele und fachlich fundierte Informationen sowohl zur Erkrankung selbst als auch zum Umgang mit Menschen, die an einer Essstörung erkrankt sind. Dennoch löst die konkrete Begegnung mit der Erkrankung bei Fachkräften oft starke Ängste aus – vor allem Angst davor, dass die bzw. der Betroffene sterben könnte. Da sich die Symptomatik über das Essen beziehungsweise Nicht-Essen zeigt, steht die Sorge im Vordergrund, dass die betroffene Person verhungern könnte. In der Folge werden Essenssituationen mitunter zu einem Kampf, bzw. um ein Ringen um ‚Macht‘. Häufig verstärkt sich jedoch dadurch die Symptomatik als dass sie gelindert wird. Denn hinter der Essensproblematik stehen psychische Dynamiken und unterschiedliche Faktoren, die den Betroffenen wenig bewusst sind. Eine dieser Faktoren ist etwa der Autonomie- & Individuationsprozess von Jugendlichen.
Daher ist es wichtig, sich fundiert über das Krankheitsbild zu informieren und frühzeitig medizinische und psychotherapeutische Fachpersonen einzubinden – zum Beispiel Allgemeinmediziner*innen, Fachärzt*innen und Psychotherapeut*innen.
Für Teams ist es essenziell, sich regelmäßig abzustimmen und im Austausch zu bleiben. Betroffene berichten häufig je nach Gesprächssituation Unterschiedliches, weshalb ein gemeinsames Vorgehen und ein Diskutieren und Vereinbaren einheitlicher Regeln im Betreuungsteam besonders wichtig sind. Im besten Fall in Abstimmung mit der bzw. dem Betroffenen.
Hilfreich kann es außerdem sein, sich als Team die Frage zu stellen: Wie würden wir handeln, wenn die betroffene Person nicht erkrankt wäre?
In den Workshops zeigte sich zudem, dass Essstörungen bei Fachkräften häufig eigene, oft unbewusste Themen in Bezug auf Körper und Ernährung anstoßen. Es ist daher hilfreich, sich dieser eigenen Anteile bewusst zu werden – möglicherweise sogar stärker als bei anderen psychischen Erkrankungen.
Ein zentrales Anliegen der Workshops ist es, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass die Begleitung durch die Fachkräfte – ihre Zeit, Aufmerksamkeit und das Zuhören – ein wichtiger Bestandteil des Genesungsprozesses ist. Eine Teilnehmerin formulierte es treffend: Es sei entlastend, noch einmal zu hören, dass es nicht Aufgabe des Teams sei, die Behandlung allein zu tragen – sondern, dass es wichtig ist, die Verantwortung zu teilen und frühzeitig Expert*innen hinzuzuziehen.
Neben der Behandlung der Betroffenen durch Exper*innen ist es jedoch genauso wichtig und bedeutsam, die betroffenen Personen ernst zu nehmen, da zu sein, ein verlässliches Gegenüber zu sein und authentisch zu bleiben. Ebenso wichtig und essenziell ist es auf die eigenen Grenzen zu achten. Meist können Betroffene sich selbst wenig spüren, daher ist für sie ein klar spürbares Gegenüber wichtig.
Leider gibt es für den Umgang mit Betroffenen nicht den Ratschlag oder die passende Hilfestellung. Es ist ein gemeinsamer Weg der kleinen Schritte.