Sehen

In Essstörungen by Gabriele Haselberger

„Sehen ist ein Akt der Liebe“ zu lesen in der Amoako Boafo’s Ausstellung „Proper Love“.

Ich schaue dich also an. Aber sehe ich dich dann auch? In unserer Zeit geht es vordergründig ums Gesehen-Werden oder ums Sich-Zeigen. Das ‚Sich Zeigen‘ passiert eher oberflächlich. Ich entscheide bewusst, was, wie und wieviel ich von mir herzeige. Beim Sehen jedoch geht es um etwas anderes. Sehe ich das Gegenüber an, nämlich bewusst an, dann nehme ich den anderen tatsächlich wahr. Sehen ist wie eine zarte Verbindung zwischen zwei Seelen zu bauen, die über das bloße Wahrnehmen hinausgeht. Es ist mehr als das Erfassen von Farben und Formen. 

Sehen ist ein Akt der Liebe, weil es bedeutet, den anderen wahrzunehmen in seiner Ganzheit. Es heißt zuzuhören, zu verstehen und zu akzeptieren. Wir schenken dem Gegenüber unsere volle Aufmerksamkeit und lassen uns auf ihre/seine Welt und Perspektiven ein. Es heißt nicht sie gutzuheißen, aber ich bin da und nehme sie auf.

In diesem Moment des Sehens und Gesehen-Werdens entsteht ein Raum, in dem Vertrauen und der Verletzlichkeit passieren können.

Und manchmal scheint es sogar schwieriger zu sein, sich selbst zu sehen, mit allen Ecken und Kanten ohne zu bewerten und zu beurteilen.

Setzen wir doch einen bewussten Akt. Sehen wir hin, lassen den Eindruck wirken, verdauen und handeln erst dann. Sehen ist ein Akt der Wertschätzung und die Anerkennung des Gegenübers in seiner Einzigartigkeit. Sehen ist ein Akt der Liebe.